Über Tanz schreiben

Tanz ist flüchtig und wenn Bewegung einen nicht gerade tief berührt, bietet sie oft keine konkreten Anhaltspunkte, um ins Gespräch zu kommen. Doch so wie wir Diskurse über Poetik [Lehre der Dichtkunst] führen, müssen wir auch über Tanz sprechen. Bewegung bringt in uns Schlummerndes zum Vorschein, erzählt von unseren Prägungen, Fantasien, physischen und psychischen Zuständen. Die Frage bleibt also: Wie? Wie sprechen wir über Tanz?   

Tanz ist keine Sprache. Wie Sprachen ist auch Tanz arbiträr, auf Sprachen bezogen bedeutet das, dass Beziehungen zwischen sprachlichem Ausdruck oder Zeichen und Ding in der Welt willkürlich sind. Innerhalb von Sprachgemeinschaften haben wir deshalb Vereinbarungen getroffen und sofern wir dieselbe Sprache sprechen, wissen wir, was zum Beispiel mit dem Wort oder lautlichen Klang „Tisch“ bezeichnet wird. Es gibt aber auch sprachliche Bereiche, die vieldeutig bleiben, sprechen wir über Emotionen oder lesen wir Poesie, können Worte oder Sätze unterschiedlich interpretiert oder verstanden werden.

Sprechen wir über zeitgenössischen, europäischen Bühnentanz ist die Verbindung zwischen Bewegung, tänzerischem Ausdruck und dem, womit sie sich beschäftigt, ebenfalls arbiträr. Hier gibt es keine Vereinbarungen. In Unterhaltungen über Tanzstücke beziehen wir uns häufig auf die vorher gelesene Stückbeschreibung und probieren, diese mit Gesehenem in Verbindung zu bringen. Die Erzählung setzt nicht bei unserem Erlebnis ein, sondern bei dem, was wir gesichert wissen, weil wir es gelesen haben.

Wenn ich über Tanz schreibe oder als Dramaturgin spreche, probiere ich, nicht zu interpretieren, was ich sehe, denn Bewegung ist nicht nur ihr thematischer Inhalt. Ihr Potential liegt darin, dass viele Ebenen in ihrem Ausdruck eine Rolle spielen. Schreibe ich ihr eine konkrete Bedeutung oder Aussage zu, mache ich sie weniger arbiträr. Ich nehme ihre emotionalen Ebenen oder andere mögliche Bedeutungen einfach weg. Statt sie zu interpretieren, probiere ich sie zu vergleichen oder darüber zu sprechen, wie es mir geht, wenn ich sie beobachte. Ich probiere meine Sensoren bestmöglich zu öffnen, zugänglich zu sein. Übungen in Wahrnehmung und Assoziation. [siehe Susan Sontag: „Gegen Interpretation“]