Arbeiten mit miu

miu kommt eigentlich von der Musik. Er integrierte zunächst den eigenen Körper in die Performance. Dies beschrieb er so:

„Das war ungefähr 2000 in London. Ich war dort Teil der Laptop-Musikszene. Dort war die Stimmung immer sehr konzentriert, alle haben auf ihre Bildschirme geschaut und niemand hat sich bewegt. Da wollte ich etwas anderes hinzufügen. Damals habe ich angefangen zu performen, wenn ich Auftritte hatte.“ [miu während des Probenzeitraums zu „do white“, 2022]

Er kommt aus Japan und lebt seit mehr als 20 Jahren in Europa. Kunst zu machen, versteht er als eine Art Übersetzung, er ist Konzeptkünstler, er setzt Parameter, korrigiert hier und da eine Richtung. Mit seinem Team geht miu auf die Suche nach Input. Eindrücke, Erfahrungen, aber auch Ungereimtheiten und Verwirrung übersetzt er in Sounds, Geschichten oder Landschaften für darstellende Kunst. Entscheidungen treffen wir gemeinsam als Team, im Sinne des Projektes.   

Das erste Stück, an dem ich als Dramaturgin beteiligt war entstand 2022. Wir haben an dem Tanzstück „do white“ gearbeitet, welches auch für nicht und anders sehendes Publikum zugänglich war. Die Premiere fand am 19. Oktober 2022 im Düsseldorfer FFT statt. Die Proben ab dem Sommer in Proberäumen des FFT.

Er verantwortet Projekte, ohne die lauteste Person im Raum zu sein. Stücke sind immer Gemeinschaftswerk. Jedes Ausprobieren, Nachdenken über, alle neuen Ideen sind ihm willkommen, auch noch drei Tage vor der Premiere. Die Stimmung ist immer entspannt. So entsteht ein safe space, in dem es um die Kunst geht, die wir gemeinsam machen. Alle denken mit und bringen sich ein, alle fühlen sich sicher mit dem, was sie beisteuern können. Ich habe ihn als stillen Begleiter der Entstehung eines Stückes oder einer Lesung erlebt, dennoch lenkt er den Prozess. Irgendwann, während der Arbeit an „do white“, zeigte er dem Team eine DIN A3 Pappe, auf der er den Ablauf des Stückes gezeichnet hatte, wie er es im Kopf hatte. Gemeinsam sortierten wir Themen für die Tastführung oder das Programmheft. miu gibt uns nichts vor, behauptet nicht derjenige zu sein, der weiß, was wie zu sein hat oder wie Formate gestaltet werden müssen. Es gibt keine Geheimnisse. Über alles darf gesprochen werden, alles darf gezeigt werden.

Im ersten Probenprozessgab es einen Tag, an dem miu nicht redete, er hatte einen dicken Klebestreifen über dem Mund, darauf war ein x eingezeichnet. Andere Teammitglieder haben in den Proben angeleitet oder Szenen erfunden, miu beobachtete ausschließlich.

während der Proben zu „do white“ im FFT-Düsseldorf, 2022

Er erlaubt eine Vielstimmigkeit im Prozess, vertraut dem Prozess und er versteht es, als Erwachsener zu spielen. Er baut Klangmaschinen, erstellt Avatare seiner Performer:innen am Computer und lässt sie tanzen. Es gibt nicht immer eine verbale Erklärung für die Bestandteile seiner Arbeit, aber sie finden zueinander, sie ergeben ein Ganzes. Kommunikation und Übersetzung sind wichtige Themen in mius Arbeit, es treffen Sprachen, Audiodeskriptionen und Klänge aufeinander.

„Japanisch ist immer in meiner Mitte. Deutsch und Englisch ist zur Kommunikation.“ [miu während der Vorbereitungen zu „do white Ex“, 2023]

Nach einem Probenbesuch bei der Arbeit an „do white Ex“ formulierte Moritz Hannemann (Dramaturgie FFT- Düsseldorf) sehr treffend: „In den Geschichten und auch den Objekten hat das so eine schöne Spannung zwischen konkret, aber gleichzeitig auch skurril und poetisch.“

Gerade recherchieren wir im Team für die erste Produktion einer neuen Trilogie mit dem Namen „Train Train“. Wir untersuchen den öffentlichen Nahverkehr und dessen Zugänglichkeit für seheingeschränkte Menschen, wir lauschen den Klängen der Straßenbahnen und ertasten Leitsysteme. Am 23., 25. und 26. November 2023 wird dann die tastbare, auditive Stadtraumszene „Train Train 1/3“ im FFT in Düsseldorf zu sehen sein.

somebody.kollektiv “three is a crowd” 2016

Gabriela Tarcha und ich haben das somebody.kollektiv 2010 gegründet. Uns vereinte das Interesse künstlerisch mit Körpern in der Stadt zu arbeiten und nicht für die Bühne zu produzieren. Mir ist es ein Bedürfnis künstlerisch im Kollektiv zu arbeiten. Ich möchte die Auseinandersetzung und das Reflektieren von Ideen, ich möchte Verantwortung, Aufgaben, Freude und Kritik teilen. Ich möchte einen künstlerischen Rückzugsort, an dem ich nicht alleine bin, von dem Dinge ausgehen und an den wir zurückkehren können. Das Leben und Agieren aus der Gemeinschaft heraus ist ein weiteres Interesse. Gabriela lebt mittlerweile wieder in Sao Paulo, 2016 habe ich einen Neustart des Kollektivs mit Philine Herrlein und Katharina Sim gemacht.

Aus dem Interesse an Gemeinschaft entstanden unsere Ideen für die Forschungsphase „Three is a crowd“: Wir wollten einen Dreierkörper herstellen, als ein Körper agieren. Hierfür wollten wir neue Zugänge und Methoden suchen und nicht auf Altbekanntes zurückgreifen. Wir wollten den Dreierkörper nicht über Berührung oder Kontaktimprovisation herstellen. Wir wollten eine intuitive Verbundenheit herstellen. Daraus entstand ein Interesse an der Komplizenschaft, wie Gesa Ziemer sie beschreibt: Komplizen verbünden sich, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Nach außen ist ihr Bündnis nicht sichtbar. Ihr Vertrauen zueinander ist groß, sie sind voneinander abhängig. Aus unseren Hauptanliegen, dem Dreierkörper und der Komplizenschaft, entstanden weitere Themenbereiche und Fragestellungen: Sichtbarkeit/ Unsichtbarkeit [Kunst ist meist erkennbar, Komlizenschaft geheim], Lüge/ Wahrheit [Geschichten von einer werden im Dreierkörper Allgemeingut], Nähe/ Distanz [Der Dreierkörper hat uns erstmal nah zueinander gebracht, doch Komplizenschaft lässt Bande unsichtbar werden und erlaubt Distanz], Geheimnis, Ziel und das Bedürfnis im öffentlichen Raum zu arbeiten.

Stationen des Projektes:

Wir fuhren zunächst für ein paar Tage in den Odenwald, um viel Zeit zu dritt zu verbringen. Um nicht aus anderen Arbeitszusammenhängen und privatem Alltag in unsere Recherche zu stürzen.

Im Studio:

Als wären wir ein Körper: Bei der Aufgabe ein werbefähiges Foto zu schießen, kam uns die Idee, zu dritt ein Kleidungsstück anzuziehen. Diesen Ansatz haben wir später weiter erforscht.

Den anderen Körper behandeln, wie den eigenen: eine unserer ersten Aufgaben war, dass wir uns zu dritt ausziehen. Wir haben verschiedene Konstellationen probiert: Zwei ziehen eine aus – wir dachten, dass das viel schneller gehen müsse, als alleine, da wir ja mehrere sind, das war aber ein Trugschluss – im Kreis, jede hilft derjenigen vor sich. Aber alles dauert länger zu dritt.

Übergriffigkeiten: Gesten, wie Kratzen, Frisur richten, Nase putzen am anderen Körper vornehmen (an eine Grenze kamen wir bei intimen Berührungen).

Erzählen als Praxis: Wir haben begonnen Geschichten und Sätze der anderen beiden aufzugreifen und zu erzählen, als wären es unsere Geschichten. Hierdurch entstand eine gemeinsame Erzählung, geteilte Erinnerungen- wir fanden zu einer eigenen Wahrheit.

Zuhören als Praxis: Immer wieder Fragen stellen, um mehr Geschichten zu finden.

Masken: Wir haben Portraitfotos von uns als Masken verwendet und zerschnitten und neu wieder zusammengesetzt. Unser Dreierkörper wurde zu einem Spiel mit Identitäten. Wir haben die Möglichkeit eine von uns zu sein.

Draußen:

Wir haben im öffentlichen Raum mit einfachen Regeln gespielt und sind kaum aufgefallen. Dann sind wir kurz abgedriftet, weil wir Aufmerksamkeit wollten. Kathi hat getanzt und Leute angesprochen, wir haben in der Innenstadt unsere Arme hochgerissen und sind schnell durch die Menschenmassen gerannt.

In der Reflektion fiel uns auf, dass das nichts mit Komplizenschaft zu tun hat, es war nicht unauffällig und es brachte die falsche Art von Aufmerksamkeit („was machen die denn da?“ „Was soll das denn?”). Wir beschlossen, dass wir draußen nicht performativ sein müssen. Einfache Regeln, Fotos aufkleben, Mäntel tauschen, Gestenfolge.

Spannend war der schmale Grat, wenn wir etwas taten, was nicht offensichtlich performativ ist, aber etwas vom gewöhnlichen, „normalen“ Verhalten abrückt: Zu dritt an einem ungewöhnlichen Ort stehen, nichts tun, zu dritt ganz langsam laufen. Der Bereich, der nicht einzuordnen ist… Eine Gang sein. Einer eigenen Dynamik folgen, nicht Auffallen um jeden Preis, sondern sich vom öffentlcihen Raum absetzen.

In der Innenstadt steht man viel im Weg. Die Menschen wollen nur shoppen, oder schnell von A nach B. Dennoch finden wir es wichtig, auch andere Sachen in den öffentlichen Raum zu stellen, vielleicht einfach, damit sie da sind. Nun ist die Diskussion über die Nutzung der Innenstädte viel lauter, als zu dem Zeitpunkt, zu dem wir das Projekt durchgeführt haben. Der öffentliche Raum sollte mehr Raum für Austausch und zum Verweilen bieten, künstlerische Äußerungen sollten alltäglicher werden, geistiges Futter, alles jenseits von Konsum macht Städte viel attraktiver.