Vielleicht geht es nicht um die Vielen – was Begegnungen mit Kunst ermöglicht

Ich gehörte zu einer Vierergruppe von Kunstvermittlerinnen, die 2021 für Urbane Künste Ruhr das Werk “Absorption” des Künstlers Asad Raza betreut haben (gezeigt im Rahmen der Ruhrtriennale). In “Absorption” stellt eine Gruppe von Kultivator:innen Erde her – neosoil (wie Asad Raza sie nennt). Im alten Allbauhaus in der Essener Nordstadt fügten die Kultivator:innen der Erde Bestandteile hinzu, wässerten sie und gruben sie um, maßen den ph-Wert – sie fanden eine eigene Art der Kultivierung und des Verhältnisses zueinander und zum Material. Der Erde wurden Bestandteile hinzugefügt, die im Ruhrgebiet gesammelt wurden und größtenteils Abfallprodukte gewesen wären, wie alte Programmhefte, aber auch Taubenkot und unbehandelte Haare aus Friseursalons. Aus einem kleinen Nebenraum, der ebenfalls mit Erde gefüllt war, war das Musikstück Ten Years Alive on the Infinite Plain von Tony Conrad zu hören. Eine meditative Stimmung strömte in den Raum. Eine Aufnahme der Premiere des Stückes in the kitchen in New York, 1972. Musikalische Avantgardist:innen, die auf, von Conrad hergestellten, Instrumenten spielten. Eine Premiere, ein einmaliger Moment, ein Stück, das nur einmal so gespielt wurde. Der Sound zur Neosoil, die nur in Essen genau so hergestellt wurde, von einer einmalig so zusammengestellten Gruppe von Kultivator:innen. Die Besucher:innen beobachteten die Kultivator:innen, es kam zu Gesprächen über Bestandteile der Erde, über Rituale, über Erinnerungen. Kleinere Mengen Erde konnten im Laufe der Ausstellung von den Besucher:innen mitgenommen werden. Maria Renee Morales Garcia ergänzte Razas Arbeit mit ihrem Projekt from earth to earth. Sie stellte Tonkugeln (sogenannte Sphären) her, die sie trocknen ließ und die dann in einer rituellen Aktion von den Kultivator:innen wieder zerkleinert und der Erde beigemischt wurden. Zwei Tage in der Woche war sie vor Ort und steckte ihre Energie in die sorgfältig gearbeiteten Kugeln, die dann später in die Erde überging.

Da ein Raum voller Erde eine eher untypische Begegnung mit Kunst ist, haben wir viele Gespräche über Sinn und Zweck des Werkes geführt. Als Vermittlerin bin ich diejenige, die eine Brücke bauen soll, zwischen der/ dem potentiellen Besucher:in und dem Werk. Wie kann ich die Betrachter:innen in ein sinnliches Erleben bringen, sie mit Fragen losschicken, damit sie dem eigenen Sehen und Fühlen vertrauen?

Wann bist Du zuletzt barfuß durch Erde gelaufen? Wann warst Du zuletzt im Wald?
Wie riecht Erde? Hast Du mal eine Verbindung zwischen Dir und der Natur gespürt?
Was hast Du zuletzt mit eigenen Händen hergestellt? Wofür/ Für wen sorgst Du? Wann hast Du Dich zuletzt einer Gruppe zugehörig gefühlt? Wann hast Du zuletzt gespürt, dass Du Veränderung bewirken kannst?

Asad Raza wollte, dass wir alle Passant:innen ansprechen, auf die Ausstellung aufmerksam machen, sie herein bitten. Zunächst haben wir das versucht, doch nach einigen Schichten war uns allen klar, dass dieser Versuch nur selten zum Erfolg führt. Lohnend war es, die Menschen anzusprechen, die Interesse signalisierten, in die Fenster schauten, aktiv fragten, was wir da machen. Vor der Tür entstanden Gespräche unter uns Vermittlerinnen, aber auch mit den Kultivator:innen. Wir fragten uns, was eine Begegnung mit einem Kunstwerk wie “Absorption”ermöglicht? Zunächst mussten die Besucher:innen etwas Zeit und Ruhe mitbringen; Menschen, die gehetzt auf ihr Handy schauten oder mit Taschen beladen die Innenstadt verließen, waren meist nicht offen für einen Besuch. Es musste ein Zugang zum sinnlichen Erleben da sein, dieser hängt manchmal einfach von Tag oder Uhrzeit oder Lebensphase ab. Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch Kunst erleben und etwas aus ihr ziehen kann. Viele Menschen glauben, dass es bei Kunst etwas zu verstehen gibt und vertrauen ihren Sinnen und ihren eigenen Fragen an ein Werk nicht. Viele Leute lehnten nach kurzer Erläuterung dankend ab und gingen nicht hinein: “Und da ist nur Erde?”; “Wird da was angepflanzt?”; “Der [Künstler] will da nur Erde machen? Warum? Ist der Gott?” Das Verständnis dafür, dass die Herstellung von Erde und ihre Ausstellung Kunst ist, fehlte vielen Menschen. Der performative Akt des gemeinsamen Kultivierens erschloß sich nicht immer.

“Art is like a cat, it doesn´t really care, if you´re there or not” Asad Raza

Doch da waren auch die drei elfjährigen Jungs, die drei Tage in Folge kamen und den Kultivator:innen enthusiastisch geholfen haben. Sie kamen aus Syrien und sagten, sie hätten dort viel auf dem Feld geholfen. Und Toto, der hat geweint, als er die Erde sah und sagte, dass er das total brutal findet. Der Mann, der immer barfuß in die Ausstellung gegangen ist und dort Gitarre gespielt hat und große Zeichnungen in der Erde hinterlassen hat. Ich glaube, für die haben wir das gemacht.

https://www.soundohm.com/product/ten-years-alive-on-the-in
https://www.urbanekuensteruhr.de/de/project/asad-raza-absorption

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