Dance & writing at SoloDuo Festival NRW + friends 2022

I announced my workshop at this year’s SoloDuo Festival with the following text:

“Dance is ephemeral, scurries by, is difficult to convert into words and writing. Bodies turn, jump, fall, shake… what more could one say or write about movement? Together we will explore exercises from creative writing for the use of dance descriptions in production processes and as a linguistic, artistic approach to movement.”

I am interested in this, because I have been working as a dance critic and read critics about pieces in which I was part of the team. Since dance science is a rather new discipline and theory only started making its way into dance in the 1990s, it is still the exception that professionals from the field of dance write about it. Performances are often judged by critics, rather then it is tried to describe properly what is going on and what the bodies do. A critic is always only one member of the audience and still personal opinions about witnessed art are often being generalized. As part of a production team I find it always helpful to find as many ways as possible to talk about the things you produce, use language to describe, but also use poetry, language as an artistic tool to find other ways to address what it is, that is moving us.

We met on the second day of the festival in a studio at Barnes Crossing in Cologne, there were eight participants who joined the workshop. One of them was especially interested in the theme, because he has been writing dance critics himself. They all had tried exercises like the first one I did with them. It always makes me nervous to prepare something for SoloDuo, because I never know who will be there and in which stage of their professional career they are. The group this year really wanted to try out things, it was a very good atmosphere.

Here are the exercises we did after a short introduction round:

1st exercise:

5 nouns – write for 1 minute about each noun, without thinking, do not take the pen off the paper, write nonsense, make words up, but write!!! Nouns can be out of your projects, something that you are interested in, do not have to be about dance. Please write in your mother tongue.

One dancer told me afterwards that she had the noun “Ego” and wrote “Ako” (which means “I” in her mother tongue Filipino) for one minute.

2nd exercise:

Talk about movement. 10 minutes. One person moves, one talks. Describe what you see. Do it in your mother tongue. Try to find different ways to talk about the moving body you witness. Change your habits, find several approaches. What else?? What else??

Then change roles for another 10 minutes.

What I have seen witnessing them doing this exercise was, that most talking people decided to follow “their” moving body, they seldomly chose distance. The ones talking sometimes mirrored the ones moving, as if they needed to feel the movement themselves. They quickly grew together as teams of two, although they had not been working together before. They started to own the space – they used things that were there, opened a window, nearly climbed out of it, used their humor, started to play around together. It was fun to watch them.

After the exercise they reflected in teams of two. Then we had a last group talk and what they shared was: As a mover they somehow felt obliged to fulfill what was said about their movements. They thought it was interesting how the movement was influenced by the talking, or sometimes just words that you hear.

In the last reflection round I was asked, how I would continue from this exercise on? I think there are different options to work further after these exercises, it depends on the group. It would be interesting to listen to someone talking, so that only two people do the exercise, and the others listen and then the whole group can reflect on what has been said.

If one is interested in playing with language or sounds, then you could go on with this exercise:

3rd exercise:

Create words/ sounds to movement. One moves and one tries to make or write down sounds that fit to the movement. What does a turn or a jump sound like? Later you take the sounds that you have created, and you create movement to these sounds. The second part will be easier, if you write down immediately while watching the movement in the first part of the exercise, otherwise you will have to record your talking and write it down or use the recording to create new movement.  

Vielleicht geht es nicht um die Vielen – was Begegnungen mit Kunst ermöglicht

Ich gehörte zu einer Vierergruppe von Kunstvermittlerinnen, die 2021 für Urbane Künste Ruhr das Werk “Absorption” des Künstlers Asad Raza betreut haben (gezeigt im Rahmen der Ruhrtriennale). In “Absorption” stellt eine Gruppe von Kultivator:innen Erde her – neosoil (wie Asad Raza sie nennt). Im alten Allbauhaus in der Essener Nordstadt fügten die Kultivator:innen der Erde Bestandteile hinzu, wässerten sie und gruben sie um, maßen den ph-Wert – sie fanden eine eigene Art der Kultivierung und des Verhältnisses zueinander und zum Material. Der Erde wurden Bestandteile hinzugefügt, die im Ruhrgebiet gesammelt wurden und größtenteils Abfallprodukte gewesen wären, wie alte Programmhefte, aber auch Taubenkot und unbehandelte Haare aus Friseursalons. Aus einem kleinen Nebenraum, der ebenfalls mit Erde gefüllt war, war das Musikstück Ten Years Alive on the Infinite Plain von Tony Conrad zu hören. Eine meditative Stimmung strömte in den Raum. Eine Aufnahme der Premiere des Stückes in the kitchen in New York, 1972. Musikalische Avantgardist:innen, die auf, von Conrad hergestellten, Instrumenten spielten. Eine Premiere, ein einmaliger Moment, ein Stück, das nur einmal so gespielt wurde. Der Sound zur Neosoil, die nur in Essen genau so hergestellt wurde, von einer einmalig so zusammengestellten Gruppe von Kultivator:innen. Die Besucher:innen beobachteten die Kultivator:innen, es kam zu Gesprächen über Bestandteile der Erde, über Rituale, über Erinnerungen. Kleinere Mengen Erde konnten im Laufe der Ausstellung von den Besucher:innen mitgenommen werden. Maria Renee Morales Garcia ergänzte Razas Arbeit mit ihrem Projekt from earth to earth. Sie stellte Tonkugeln (sogenannte Sphären) her, die sie trocknen ließ und die dann in einer rituellen Aktion von den Kultivator:innen wieder zerkleinert und der Erde beigemischt wurden. Zwei Tage in der Woche war sie vor Ort und steckte ihre Energie in die sorgfältig gearbeiteten Kugeln, die dann später in die Erde überging.

Da ein Raum voller Erde eine eher untypische Begegnung mit Kunst ist, haben wir viele Gespräche über Sinn und Zweck des Werkes geführt. Als Vermittlerin bin ich diejenige, die eine Brücke bauen soll, zwischen der/ dem potentiellen Besucher:in und dem Werk. Wie kann ich die Betrachter:innen in ein sinnliches Erleben bringen, sie mit Fragen losschicken, damit sie dem eigenen Sehen und Fühlen vertrauen?

Wann bist Du zuletzt barfuß durch Erde gelaufen? Wann warst Du zuletzt im Wald?
Wie riecht Erde? Hast Du mal eine Verbindung zwischen Dir und der Natur gespürt?
Was hast Du zuletzt mit eigenen Händen hergestellt? Wofür/ Für wen sorgst Du? Wann hast Du Dich zuletzt einer Gruppe zugehörig gefühlt? Wann hast Du zuletzt gespürt, dass Du Veränderung bewirken kannst?

Asad Raza wollte, dass wir alle Passant:innen ansprechen, auf die Ausstellung aufmerksam machen, sie herein bitten. Zunächst haben wir das versucht, doch nach einigen Schichten war uns allen klar, dass dieser Versuch nur selten zum Erfolg führt. Lohnend war es, die Menschen anzusprechen, die Interesse signalisierten, in die Fenster schauten, aktiv fragten, was wir da machen. Vor der Tür entstanden Gespräche unter uns Vermittlerinnen, aber auch mit den Kultivator:innen. Wir fragten uns, was eine Begegnung mit einem Kunstwerk wie “Absorption”ermöglicht? Zunächst mussten die Besucher:innen etwas Zeit und Ruhe mitbringen; Menschen, die gehetzt auf ihr Handy schauten oder mit Taschen beladen die Innenstadt verließen, waren meist nicht offen für einen Besuch. Es musste ein Zugang zum sinnlichen Erleben da sein, dieser hängt manchmal einfach von Tag oder Uhrzeit oder Lebensphase ab. Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch Kunst erleben und etwas aus ihr ziehen kann. Viele Menschen glauben, dass es bei Kunst etwas zu verstehen gibt und vertrauen ihren Sinnen und ihren eigenen Fragen an ein Werk nicht. Viele Leute lehnten nach kurzer Erläuterung dankend ab und gingen nicht hinein: “Und da ist nur Erde?”; “Wird da was angepflanzt?”; “Der [Künstler] will da nur Erde machen? Warum? Ist der Gott?” Das Verständnis dafür, dass die Herstellung von Erde und ihre Ausstellung Kunst ist, fehlte vielen Menschen. Der performative Akt des gemeinsamen Kultivierens erschloß sich nicht immer.

“Art is like a cat, it doesn´t really care, if you´re there or not” Asad Raza

Doch da waren auch die drei elfjährigen Jungs, die drei Tage in Folge kamen und den Kultivator:innen enthusiastisch geholfen haben. Sie kamen aus Syrien und sagten, sie hätten dort viel auf dem Feld geholfen. Und Toto, der hat geweint, als er die Erde sah und sagte, dass er das total brutal findet. Der Mann, der immer barfuß in die Ausstellung gegangen ist und dort Gitarre gespielt hat und große Zeichnungen in der Erde hinterlassen hat. Ich glaube, für die haben wir das gemacht.

https://www.soundohm.com/product/ten-years-alive-on-the-in
https://www.urbanekuensteruhr.de/de/project/asad-raza-absorption

Judith Ayuso

Ich bin studierte Philologin und Tanzwissenschaftlerin. Seit 2012 arbeite ich freischaffend in den Bereichen Tanzdramaturgie/ Mentoring (z.B. für IPtanz, Werner Nigg, Ursula Nill, flausen), ich unterstütze Kompanies auch in den Bereichen Vermittlung, Kommunikation, Dokumentation und Textarbeit. Als Autorin habe ich für die aKT (†), tanzpresse.de und das trailer Magazin geschriben. Ich leite Theater- und Tanzprojekte für verschiedene Altersstufen, unterrichtete Schauspielstudent:innen an der Kölner Theaterakademie in Tanz und “Kontexten freier Theaterarbeit” (Theorie) und leite Workshops für Tänzer:innen/ Choreograf:innen beim Kölner SoloDuo Festival. Momentan schreibe ich für diesen Blog und arbeite an dem eigenen Interviewpodcast “Kunst, Kaffee & Quatschen”.

www.judithayuso.de

somebody.kollektiv “three is a crowd” 2016

Gabriela Tarcha und ich haben das somebody.kollektiv 2010 gegründet. Uns vereinte das Interesse künstlerisch mit Körpern in der Stadt zu arbeiten und nicht für die Bühne zu produzieren. Mir ist es ein Bedürfnis künstlerisch im Kollektiv zu arbeiten. Ich möchte die Auseinandersetzung und das Reflektieren von Ideen, ich möchte Verantwortung, Aufgaben, Freude und Kritik teilen. Ich möchte einen künstlerischen Rückzugsort, an dem ich nicht alleine bin, von dem Dinge ausgehen und an den wir zurückkehren können. Das Leben und Agieren aus der Gemeinschaft heraus ist ein weiteres Interesse. Gabriela lebt mittlerweile wieder in Sao Paulo, 2016 habe ich einen Neustart des Kollektivs mit Philine Herrlein und Katharina Sim gemacht.

Aus dem Interesse an Gemeinschaft entstanden unsere Ideen für die Forschungsphase „Three is a crowd“: Wir wollten einen Dreierkörper herstellen, als ein Körper agieren. Hierfür wollten wir neue Zugänge und Methoden suchen und nicht auf Altbekanntes zurückgreifen. Wir wollten den Dreierkörper nicht über Berührung oder Kontaktimprovisation herstellen. Wir wollten eine intuitive Verbundenheit herstellen. Daraus entstand ein Interesse an der Komplizenschaft, wie Gesa Ziemer sie beschreibt: Komplizen verbünden sich, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Nach außen ist ihr Bündnis nicht sichtbar. Ihr Vertrauen zueinander ist groß, sie sind voneinander abhängig. Aus unseren Hauptanliegen, dem Dreierkörper und der Komplizenschaft, entstanden weitere Themenbereiche und Fragestellungen: Sichtbarkeit/ Unsichtbarkeit [Kunst ist meist erkennbar, Komlizenschaft geheim], Lüge/ Wahrheit [Geschichten von einer werden im Dreierkörper Allgemeingut], Nähe/ Distanz [Der Dreierkörper hat uns erstmal nah zueinander gebracht, doch Komplizenschaft lässt Bande unsichtbar werden und erlaubt Distanz], Geheimnis, Ziel und das Bedürfnis im öffentlichen Raum zu arbeiten.

Stationen des Projektes:

Wir fuhren zunächst für ein paar Tage in den Odenwald, um viel Zeit zu dritt zu verbringen. Um nicht aus anderen Arbeitszusammenhängen und privatem Alltag in unsere Recherche zu stürzen.

Im Studio:

Als wären wir ein Körper: Bei der Aufgabe ein werbefähiges Foto zu schießen, kam uns die Idee, zu dritt ein Kleidungsstück anzuziehen. Diesen Ansatz haben wir später weiter erforscht.

Den anderen Körper behandeln, wie den eigenen: eine unserer ersten Aufgaben war, dass wir uns zu dritt ausziehen. Wir haben verschiedene Konstellationen probiert: Zwei ziehen eine aus – wir dachten, dass das viel schneller gehen müsse, als alleine, da wir ja mehrere sind, das war aber ein Trugschluss – im Kreis, jede hilft derjenigen vor sich. Aber alles dauert länger zu dritt.

Übergriffigkeiten: Gesten, wie Kratzen, Frisur richten, Nase putzen am anderen Körper vornehmen (an eine Grenze kamen wir bei intimen Berührungen).

Erzählen als Praxis: Wir haben begonnen Geschichten und Sätze der anderen beiden aufzugreifen und zu erzählen, als wären es unsere Geschichten. Hierdurch entstand eine gemeinsame Erzählung, geteilte Erinnerungen- wir fanden zu einer eigenen Wahrheit.

Zuhören als Praxis: Immer wieder Fragen stellen, um mehr Geschichten zu finden.

Masken: Wir haben Portraitfotos von uns als Masken verwendet und zerschnitten und neu wieder zusammengesetzt. Unser Dreierkörper wurde zu einem Spiel mit Identitäten. Wir haben die Möglichkeit eine von uns zu sein.

Draußen:

Wir haben im öffentlichen Raum mit einfachen Regeln gespielt und sind kaum aufgefallen. Dann sind wir kurz abgedriftet, weil wir Aufmerksamkeit wollten. Kathi hat getanzt und Leute angesprochen, wir haben in der Innenstadt unsere Arme hochgerissen und sind schnell durch die Menschenmassen gerannt.

In der Reflektion fiel uns auf, dass das nichts mit Komplizenschaft zu tun hat, es war nicht unauffällig und es brachte die falsche Art von Aufmerksamkeit („was machen die denn da?“ „Was soll das denn?”). Wir beschlossen, dass wir draußen nicht performativ sein müssen. Einfache Regeln, Fotos aufkleben, Mäntel tauschen, Gestenfolge.

Spannend war der schmale Grat, wenn wir etwas taten, was nicht offensichtlich performativ ist, aber etwas vom gewöhnlichen, „normalen“ Verhalten abrückt: Zu dritt an einem ungewöhnlichen Ort stehen, nichts tun, zu dritt ganz langsam laufen. Der Bereich, der nicht einzuordnen ist… Eine Gang sein. Einer eigenen Dynamik folgen, nicht Auffallen um jeden Preis, sondern sich vom öffentlcihen Raum absetzen.

In der Innenstadt steht man viel im Weg. Die Menschen wollen nur shoppen, oder schnell von A nach B. Dennoch finden wir es wichtig, auch andere Sachen in den öffentlichen Raum zu stellen, vielleicht einfach, damit sie da sind. Nun ist die Diskussion über die Nutzung der Innenstädte viel lauter, als zu dem Zeitpunkt, zu dem wir das Projekt durchgeführt haben. Der öffentliche Raum sollte mehr Raum für Austausch und zum Verweilen bieten, künstlerische Äußerungen sollten alltäglicher werden, geistiges Futter, alles jenseits von Konsum macht Städte viel attraktiver.

Jessica Arseneau “Dawns”

Ich spaziere in der Dunkelheit durch Mülheim an der Ruhr, auf der Suche nach Bildschirmen, auf denen ich “Dawns” von Jessica Arseneau sehen kann, die kanadische Künstlerin hatte in diesem Jahr eine Residenz bei Urbane Künste Ruhr und nun wird in den dunklen Stunden des Tages das Ergebnis dieser Residenz gezeigt. Meine erste Station ist das soziokulturelle Kunsthaus Macroscope.

Der Fokus liegt auf Menschen, jungen Menschen, sie sitzen auf dem Boden oder auf Stühlen, stehen an einer Ballustrade. Der Bildausschnitt bleibt immer unverändert, es gibt keine Aussicht auf die Sonnenaufgänge. Wir sehen Asphalt oder Schotter auf dem sie sitzen. Sie schauen nicht in die Kamera, manchmal bewegen sie sich so lange nicht, dass mir ist, als betrachte ich ein Foto. Hin und wieder ändern sie ihre Pose oder ihre Kopfhaltung. Sie sehen einander nicht an, sie berühren einander nicht. Sie sind müde, nicht in Anspannung. Die Bilder werden langsam heller, die Sonne geht auf.

Ich laufe hinüber zur vier.zentrale (gemeinsamer Raum der Theaterallianz vier.ruhr Mülheim), eine Frau mit roten Haaren und rotem Oberteil liegt bäuchlings auf einem erleuchteten Quadrat auf einer Halde. Der Bildschirm ist gut sichtbar, doch da das Bild unaufgeregt, selten bewegt und leise ist, bin ich die Einzige, die länger stehen bleibt. Im Alltag habe ich auch selten Zeit mich auf Betrachtungen einzulassen, die mir unverhofft begegnen. Meistens habe ich ein Ziel, den Kopf voll anderer Gedanken, und auch mit dem Plan mir heute “Dawns” anzusehen, spüre ich die Ungeduld, die mich weiter treibt. So ein Sonnenaufgang braucht etwas Zeit.

Dann liegt die längste Wegstrecke vor mir, über die Brücke hinüber zum Ringlokschuppen, überall sind schon Lichter an. Abendstimmung ist anders als Morgendämmerung. Goodbye versus hello. Den Sonnenaufgang erlebe ich selten, aber wenn ich es mal tue, genieße ich es sehr. Wenn ich mal früh unterwegs bin, finde ich die Stimmung des beginnenden Tages immer aufregend. Ich denke aber auch an nicht endende Sommerabende, das Heimlaufen mit Freund*innen nach durchgemachten Nächten, an das Vergessen der Zeit und nun an eine Generation, die das alles wegen einer Pandemie anders erlebt, anders erleben muss. Wie sie in Arseneaus Bildern zwar beieinander sind, aber doch allein wirken. So erschöpft. Keine Unbeschwertheit, kein Hindurchleben durch die Nacht. Eine Erschöpfung, die durch den Stillstand entsteht.

Am Ringlokschuppen entdecke ich einen Bildschirm, drei Menschen sitzen da, bildfüllend angeordnet, das könnte ein Gemälde sein. Zwei links etwas weiter hinten, vorne rechts eine Frau auf dem Boden. Direkt vor dem Bildschirm stören Überreste von Klebestreifen meine Sicht, da hat wohl ein Plakat geklebt.

Ich denke darüber nach, wie ich Jahreszeiten und Tageszeiten als Kind und Jugendliche intensiver erlebt habe und nun wieder intensiver erlebe, seitdem ich eine Tochter habe. In der Beschäftigung mit Achtsamkeit habe ich gelernt, einfach irgendwo zu sitzen und zehn Minuten lang nur zu atmen, tief in den Bauch hinein und lange durch den Mund aus. Einfach Dasein.

So wachse ich im Laufe meines Spazierganges hinein in die Betrachtung von “Dawns”, meine Gedanken werden klarer, kalte Luft füllt meine Lungen und ich gebe das Tempo vor. Den Körper in all seinen Zuständen unter die Lupe zu nehmen, ist auch Gegenstand des Tanzes. Diese stillen Beobachtungen zu Beginn eines Tages erzeugen (bei mir) ein Innehalten, ein Abfragen der Wahrnehmung des eigenen Körpers, der Zeit und von Erlebtem.

Camera: Kathrin Grezschniok Featuring: Henrik Beeke, Leonie Böhmer, Danijel Brekalo, Katharina Geling, Fabio Gorchs, Kathrin Grezschniok, Ama Gyaako Kagya Agyemang, Lorenza Elisabeth Kaib, Aljoscha Lahner, Camilla Mücksch, Scherin Rajakunaran, Hannah Stratmann, Philipp Daniel Unger, Anna Wehling Special Thanks: Ralf D´Atri, Alisha Raissa Danscher, Jan Ehlen, Einar Fehrholz, Vittoria Lenz, Vanessa Nica Mueller, Thomas Szabo

Movement research – how to talk about movement

I met five participants of SoloDuo festival 2021 for an online workshop to talk about movement research. They had very different backgrounds and approaches, so we started talking about things that are importend to them, slightly connected to the theme. The question we started off with, was „What´s first, when you start creating?“

Let me introduce the participants:

Julia Monschau started dancing pretty late, she was a rollerskater before. She told us about her work #29828993 with Sherise Strang, for which she investigated on serial killers and found out a lot about the dark sides that live in each of us. Her research starts with knowledge, understanding and the connection of her own feelings and body to her theme. Her contribution to the festival was the piece “Pluto” [Choreography: Julia Monschau / dance: Asuka Julia Riedl & Julia Monschau]. https://www.juliamonschau.com

Veruschka Bohn (V3) has a degree in film, she works a lot with performance, but also with media and images. She told us about her travels and how she got stuck in Taiwan due to Corona, and about the project „Code Act“, that she did with a bar chair. The chair was her partner, she took it with her everywhere she went. Material was created whereever she went with it, pictures were taken and she made films. In the festival she showed her work “L-DNA reflected” [Choreography & dance: Veruschka Bohn/ won the audience award for best solo]. https://www.veruschkabohn.de

Jason Martin also started dancing pretty late and has started to work as a choreographer in Canada. He shared questions and thoughts about working with dancers as a choreographer.He contributed his piece “Study nO.1/ Etude nO1.” to the festival [Choreography & dance: Jason Martin/ was awarded as best performer].

Etienne Sarti studied at Folkwang university in Germany and still lives here, he worked with several choreographers, for example VA Wölfl. He told us, that he often improvises and makes little choreographies for himself, but he doesn´t use a lot of the created material in pieces. He showed his piece ,,._‘:.!,.-^.?‘ (Komma, Punkt)“ in the festival [Choreography & dance: Etienne Sarti, Komposition: Kaspar Kuoppamaki und Clarissa Ray Porst/ was awarded as Newcomer – best Solo]

Anat Oz from Israel worked as a dancer in Kibbutz contemporary dance company and started choreographing pieces two years ago. She shared questions about sharing visions and ideas with dancers. Her contribution to the festival was the piece “Introtention Coda” [Choreography: Anat Oz / dance: Shani Licht & Anat Oz/ was awarded as Newcomer – best Duo].

Here are some insights in our further conversation, I put in some quotes I found relevant while writing it down:

When movement is created, we do not only look for physical abbilities, but for the quality of the movement. Julia said: „It´s about HOW you do things… how do you lift your arm?“ With which intention do you move? What is your thought behind the movement?

So the quality of movement is directly related to the thought you perform it with, but how it is read can still be arbitrary, because it can be a feeling the movement creates or something else that the choreographer/ creator is looking for, it is not necessarily something he/ she could express with words.

It may now be less figurative, less lucidly realistic. But it is still assumed that a work of art is its content. Or, as it’s usually put today, that a work of art by definition says something. (“What X is saying is…,”“What X is trying to say is…,” “What X said is…” etc., etc.) [Susan Sontag: „Against interpretation“]

„What is the artist trying to say?“ is an example for a question that does not lead anywhere. It is a wrong question. The artist did not want to say anything, he/ she could have talked, but instead he/ she made this piece of art. [Angeli Janhsen: „Kunst selbst sehen – ein Fragenbuch“]

We started talking about being a choreographer and working with dancers, trying to transfer your ideas into other heads, onto other bodies. Jason Martin told us, that it was a real eye opener for him when he stopped trying to force ideas onto dancers, but started listening to them and that his choreographic work has improved since he started to make space/ room for every individual in it.

„I always look for people that I get along but disagree with.“ (Jason Martin)

When he started choreographing he learned that things can be read in pieces that you did not intend to talk about, because art is open for various readings. He made a duett in which the female dancer was on her knees a lot, while the male dancer stood on his feet. Afterwards he got the feedback, that the work was misogynistic and that made him want to stop choreographing immediately.

The difficult thing is that art touches every theme and aspect of life and we have to constantly question and educate ourselves. This is how we get to know ourselves better and how our work grows up. In the beginning it is hard to feel free in your artistic expression and choices despite all the critic and all the comments you receive.

Anat Oz started working as a choreographer two years ago and is now starting to learn what her movement is and what kind of pieces she wants to create. Now she is struggeling with finding a language to communicate about her ideas. She always dances and shows a lot of material on her own body, but her dancers demand of her to talk and explain more. She is now struggeling to find a language to talk about the movement she creates and wants to put on stage. What is the idea of a movement? How to adress physical quality? A feeling that movement can create?

How choreographers and dancers communicate about movement is a very interesting field of research. A lot of choreographers have „their“ dancers and I think a big part of finding those is that they learned how to communicate with one another in different processes.

Interesting reasearch is being done by Bram Vreeswijk, who does artistic „conversation based research“ on dance: Talking about physical experiences is not easy. Physical experiences are partly unconscious and difficult to put in words. It seems that our language is much more suited for talking about goals, plans and objects outside our bodies, than about our own experiences, sensations and feelings. […] How can we create the conditions for articulating and sharing physical experiences? How to find the relevant words? Words that might be vague, poetic or metaphoric… How to build conditions of trust necessary to share information that is often intimate? How to create conversations in which the different ‘truths’ of different people are respected? How to deal with the physicality of talking (gestures, pace, posture etc.)?

[Bram Vreeswijk: „Let´s talk about dance“ on www.bramvreeswijk.com]

Alm meets 80s meets Autobahn

“Sonic highway” von MFK Bochum; 2., 3. + 4. Juli 2021

Bochum. Goldhammerstraße. Ich steige aus, nichts zu sehen. Ich laufe die Straße auf und ab und entdecke auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen Hackenporsche, daran befestigt ist ein Nummernschild mit der Aufschrift “MFK Bochum” – AHA – das ist eine Geheimoperation, ich muss Zeichen entschlüsseln. Ich überquere die Straße und warte. Bald kommen mehr Menschen, sie steigen aus der Bahn und klappen Bücher zu, reden Englisch. Ich werde ungeduldig und luke in den Hackenporsche, drin ist ein braunes Paket. Nur zum Beschweren oder gibt es darin Hinweise? Kurz gebe ich mich meinen Detektivinnenphantasien hin, doch der Mann neben mir weist mich darauf hin, dass am Baum schon etwas passiere und tatsächlich: Da lehnt eine Performerin in braun-grünem Flattertarnanzug, die habe ich total übersehen. Eine große Detektivin ist an mir wohl nicht verloren gegangen. Kurz nach 11 schnappt sich die Buschlady (Katarína Marková) den Hackenporsche und wir folgen ihr durch Seitenstraßen und durch einen Weg in einer Kleingartenanlage, der in einem dreckigen, engen Abschnitt und dann direkt an einer großen Straße endet. Alle kriechen aus dem Busch. Wir folgen der Straße.

Plötzlich ertönen Glocken, Kuhglocken. Auf der gegenüberliegenden Seite erhasche ich einen Blick auf eine pink gekleidete Frau (Marlene Ruther) auf dem Berg, daher kommt das Geräusch. Wir klettern gemeinsam auf die Aussichtsplattform, dort wartet eine große Box auf uns. Die Stimme von Marlene ertönt, sie erzählt uns von den Hügeln, die hier rund um die Autobahn angelegt wurden und den Pflanzen, die darauf wachsen, Sanddorn und der Staudenknöterich zum Beispiel. Eine Künstlerin hat damals vorgeschlagen, dass der Blick auf die heimische Industrie erhalten bleiben solle. Viele regen sich auf über die 58.000 €, die die Plattform gekostet hat, auf der wir stehen. Im Vergleich zu den Kosten für das Autobahnkreuz insgesamt, sind die allerdings ein Tropfen auf den heißen Stein. Marlene spielt Flöte. Irgendwie schön hier. Wir schauen über die Autobahn, auf die Hügel auf der anderen Seite, da sitzt Franziska Schneeberger, Marlene ruft sie mit bayerischem Akzent. Der Kreis zu den Kuhglocken schließt sich. Wir hören auch Franziska durch die Box. Autobahnkreuz als Kulisse. Wir machen uns auf den Weg hinüber, über die Brücke, einen Hügel rauf. Dort erwartet uns eine beinahe solide Theatersituation, Plastikstühle mit Regenschutz drüber, ein Keyboard und anderes Soundequipment (auch ein paar Sachen aus der Kinderabteilung sind dabei), dahinter die Autobahn. Das Ruhrgebiet, die Mutterstadt des Autofahrens.

MFK Bochum fügt einen ordentlichen Beat hinzu, wir sind eine Lärmquelle auf dem Hügel. Wir schauen uns den Verkehr an: “Sonntagsverkehr… keine Drängler unterwegs… “ Katarina bewegt sich im Takt. Schritt, tap, Schritt, tap. Marlene erzählt von dem Film “Der Autokult” aus dem Jahr 1964, darin wird schon von “der blechernen Flut” berichtet. Für jedes verschrottete Auto, wurden drei Neue zugelassen. 1950 gab es in Herne 500 zugelassene Autos, 1964 waren es schon 1500, heute sind es 69.106 privat zugelassene Kraftfahrzeuge.

Die Musik erinnert mich an die 80er, ich denke an Night Rider und Zurück in die Zukunft, da war das Auto noch irgendwie gut… auf unserer Seite, ein guter Freund. Katarina legt sich auf die Lauer, sie erzählt von der Beziehung, die Menschen zu ihren Autos haben, wie sie sie waschen und pflegen, dass das Auto oft die Schwanzverlängerung des Mannes ist. Das ganze entwickelt sich zum Sextalk mit Hall obendrauf. Sie sind nicht einfach Gebrauchsgegenstand, sie sind Fetisch, sie versprechen Freiheit, Felxibilität, einfach einsteigen und losfahren…

Ein absurder Durchgangsort, ausgeleuchtet und von mehreren Seiten betrachtet. MFK Bochum hat alles entdeckt und aufgegriffen, was der Ort bietet: Die Berge, die Geschichte des Autofahrens, die persönlichen Verbindungen zu Autos, den Elektrorhythmus der Freiheit. Die Verbindung stimmt, es geht auf. Ich bin involviert und plötzlich ein bisschen verliebt in meine Blechkistenerinnerungen, wo ich doch sonst immer sage: die Städte müssen autofrei sein und nur noch Carsharing und so… was ist denn da los?

Am Schluss läuft die Musik weiter, es werden Nüsschen gereicht und Tee, es fängt an zu regnen, wir kriechen unter das Zelt. Schnell entstehen Gespräche, wir sind doch eine eingeschworene Gruppe, auf der Suche nach anderen Perspektiven, Orten und nicht alltäglichen Erfahrungen. Das ist das Besondere an der freien Szene.

weitere Termine geplant:

mfk-bochum.net

Fotos: Constantin Leonhard